Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat kürzlich eine Entscheidung getroffen, die weit reichende Auswirkungen auf die derzeitige Abmahnpraxis in Deutschland haben könnte, zumindest soweit diese Abmahnungen gegen Handelsunternehmen betrifft, die Lebensmittel vertreiben. Bisher galt im Wettbewerbsrecht der Grundsatz, dass ein Unterlassungsanspruch kein Verschulden voraussetzt. Das führte dazu, dass ein Händler für von ihm getätigte irreführende Werbeaussagen und Produktkennzeichnungen auch dann abgemahnt werden konnte, wenn diese vom Hersteller übernommen wurden. Mit Inkrafttreten der EU-Lebensmittelinformationsverordnung 1169/2011 (LMIV) soll dies nach Auffassung der Düsseldorfer Richter nun bei Lebensmitteln anders sein. Im konkreten Fall ging es um diverse Apotheken, die ein Mittel "zur dietätischen Behandlung von Migräne" vertrieben hatten. Dieses bezogen sie über den Pharmagroßhandel von einem Hersteller von dietätischen Lebensmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln.
Ein anderes Unternehmen, welches Nahrungsergänzungsmittel vertreibt, mahnte nicht nur den Hersteller ab, sondern im großen Stil auch die vertreibenden Apotheken (es wurden über 160 Abmahnungen ausgesprochen). Die Abmahnung begründete das Unternehmen damit, dass die Auslobung wissenschaftlich nicht erwiesen sei und damit gegen § 14 b Abs. 1 Satz der Diätverordnung verstoße, wonach dietätische Lebensmittel wirskam sein müssen. Es fehle am Nachweis einer randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie.
Zumindest in einem Fall kam es zu einem Gerichtsverfahren gegen eine Apotheke, die sich gegen die Abmahnung zur Wehr gesetzt hatte. Das Landgericht gab der Klage des abmahndenen Unternehmens statt, die Berufung des Apothekers gegen das Urteil hatte jedoch Erfolg. Das Oberlandesgericht ließ die Klage letztlich aufgrund eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Unternehmens scheitern, wies jedoch daraufhin, dass für die Frage der Haftung des Apothekers für Wirkaussagen des Herstellers Art. 8 LMIV entscheidend sei. Nach Art. 8 Abs. 1 ist primär der Hersteller für die Informationen über seine Lebensmittel verantwortlich. Händler sind nach Art. 8 Abs. 3 nur dann für die Informationen verantwortlich, wenn sie im Rahmen ihrer Sorgfaltspflichten wissen oder annehmen müssen, dass diese nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechen. Von einem Apotheker kann jedoch nach Auffassung des Berufungsgerichts eine Kenntnis zur Wirksamkeit aller erhältlichen (auch der nicht zum normalen Sortiment gehörenden) dietätischen Lebensmittel nicht erwartet werden.
Sofern sich die Ansicht des OLG Düsseldorf durchsetzt, würden Händlern künftig keine Abmahnungen mehr drohen, wenn sie Aussagen der Produktehersteller übernehmen (vorausgesetzt, es handelt sich nicht um Eigenmarken). Entsprechendes müsste dann auch für die Pflichtkennzeichnung nach der LMIV gelten. Allerdings ist fraglich, ob diese Grundsätze auch für den Online-Handel greifen können. Denn Art. 8 Abs. 3 LMIV spricht von "Lebensmittelunternehmern, deren Tätigkeiten die Informationen über Lebensmittel nicht beeinflussen". Nur diese sollen haftungsprivilegiert sein. Shopbetreiber, die Informationen über Lebensmittel in ihren Shop einspeisen, üben aber womöglich eine solche informationsbeeinflussende Tätigkeit aus. Andererseits ist die Situation für den Onlinehändler in der Regel keine andere als für den stationären Händler, denn auch er wird nicht beurteilen oder prüfen können, ob die vom Hersteller gelieferten Informationen zutreffen. Von daher besteht hier ein erheblicher Argumentationsspielraum bei der Verteidigung gegen derartige Abmahnungen. Abmahner werden sich künftig also sehr gut überlegen müssen, ob sie sich nicht nur den Hersteller greifen, sondern auch gegen Händler "losschlagen" wollen, die Abmahnung bleibt ein spannendes Thema.
Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Florian Meyer