Urteile zu Novel Food und bilanzierten Diäten


EuGH: Lebensmittel mit hohem Spermidingehalt ist ein neuartiges Lebensmittel

Im vorliegenden Fall klagte ein Anbieter von Lebensmittel gegen einen anderen Anbieter wegen des Vertriebs eines Lebensmittelprodukts mit hohem Spermidingehalt, das aus ungekeimtem Weizenkeim extrahiert wurde. Der Kläger behauptete, dass das Produkt ein neuartiges Lebensmittel sei und daher der Zulassung gemäß der Verordnung (EU) 2015/2283 bedürfe. Der Beklagte erwiderte, dass das Produkt kein neuartiges Lebensmittel sei und berief sich dabei auf verschiedene europäische Vorschriften.

 

Das LGZ Graz in Österreich setzte das Verfahren aus und legte dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) fünf Fragen zur Vorabentscheidung vor. In Bezug auf die Hauptfrage des Falles entschied der EuGH, dass ein Lebensmittel mit hohem Spermidingehalt, das vor dem 15.5.1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurde, grundsätzlich als „neuartiges Lebensmittel“ im Sinne von Art. 3 II Buchst. a Nr. iv der Verordnung (EU) 2015/2283 betrachtet werden sollte.

 

Die Entscheidung des EuGH hing von zwei kumulativen Voraussetzungen ab:

Das betreffende Lebensmittel muss eine „Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der Union“ haben. Es muss sich um ein Lebensmittel handeln, das auf eine bestimmte Weise aus einer Pflanze oder einer Sorte derselben Pflanzenart gewonnen wurde.

 

Der EuGH kam zu dem Schluss, dass das betreffende Produkt diese Voraussetzungen nicht erfüllte und somit als neuartiges Lebensmittel eingestuft werden sollte.


OLG Karlsruhe: Ergänzende bilanzierte Diät erfordert medizinisch bedingtes Nährstoffdefizit

Das OLG Karlsruhe ist der Auffassung, dass ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke im Sinne der Verordnung (EU) 609/2013 nur dann vorliege, wenn das Produkt dazu bestimmt ist, ein medizinisch bedingtes Nährstoffdefizit nachweislich auszugleichen. Es reiche demnach nicht aus, dass eine Person einen besonderen Nutzen aus der kontrollierten Aufnahme bestimmte Nährstoffe ziehen könne. Konkret ging es um ein Produkt mit dem Namen "Gefäß-Aktiv" mit der Indikation "zum Diätmanagement bei leichtem Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen im Frühstadium der Arteriosklerose und Diabetiker-Durchblutungsstörungen". Bereits das OLG Frankfurt a.M. hatte eine vergleichbar enge Auffassung zu einem Produkt mit Guarana-Extrakt vertreten, nun wird der BGH entscheiden müssen, wie eng der Begriff der bilanzierten Diät zu verstehen ist. Sollte der BGH die Auffassung der beiden Instanzgerichte bestätigen, würde davon diverse Produkte betroffen sein, die bislang als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke vermartket werden.


VG Würzburg: Nicotinamidmononukleotid (NMN) ist ein Novel Food

Nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Würzburg ist der Stoff NMN in der Europäischen Union neuartig im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a, Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2015/2283. Danach dürfen nur zugelassene und in der Unionsliste aufgeführte neuartige Lebensmittel nach Maßgabe der in der Liste festgelegten Bedingungen und Kennzeichnungsvorschriften als solche in den Verkehr gebracht oder in und auf Lebensmitteln verwendet werden. Nach der Definition in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) der Verordnung (EU) 2015/2283 ist ein Lebensmittel neuartig, wenn es vor dem 15. Mai 1997 in der Union nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurde und in mindestens eine der in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Unterabs. i) bis x) der Verordnung (EU) 2015/2283 genannten Kategorien fällt. Die Neuartigkeit eines Lebensmittels muss anhand aller Merkmale dieses Lebensmittels und des hierfür verwendeten Herstellungsvorgangs beurteilt werden. Die Neuartigkeit ist produktbezogen zu prüfen. Maßgebliche Indizwirkung für die Annahme eines neuartigen Lebensmittels kommt dem sogenannten Novel-Food-Katalog der Europäischen Kommission zu, auch wenn dieser als solcher keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet. Gemessen hieran ist das streitgegenständliche Produkt nach Auffassung des Gerichts als neuartiges Lebensmittel zu klassifizieren. NMN findet sich nicht auf der Unionsliste zugelassener neuartiger Lebensmittel bzw. im Novel-Food-Katalog. Gegenteilige Anhaltspunkte für eine Bewertung der streitgegenständlichen Lebensmittel als nicht neuartig im Sinne der Novel-Food-Verordnung beständen auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des betroffenen Unternehmens bei summarischer Prüfung nicht. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein Lebensmittel oder eine Lebensmittelzutat nicht neuartig ist, trägt der Lebensmittelunternehmer, der das Lebensmittel oder die Lebensmittelzutat in Verkehr bringt oder bringen will. 


OLG Frankfurt a.M.: Sojabohnenextrakt mit Spermidin - Beweislast im Novel-Food Verfahren

Ein Unternehmen ist im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens gegen einen Anbieter eines Produktes aus Sohjabohnenextrakt mit Spermidim mit dem Argument vorgegangen, bei Sojabohnenextrakt mit einem Spermidingehalt von 0,2 % handele es sich um ein neuartiges Lebensmittel („Novel Food“), für das jedoch nach der VO (EU) 2015/20283 (Novel-Food-VO) keine Zulassung vorliege. Das OLG Frankfurt a.M. hat den Verfügungsantrag jedoch zurückgewiesen. Die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast für die negative Tatsache, dass es sich bei dem beanstandeten Produkt um Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten handelt, die vor dem 15.5.1997 in der Union nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden sind, liegt nach Ansicht des Gerichts unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH (GRUR 2015, 1140 – Bohnengewächsextrakt) bei dem Antragsteller. Dieser hatte zwei Quellen vorgelegt, welche zwar Aussagen zu Soja enthalten, allerdings nicht zu Sojabohnenextrakt. Das gegnerische Unternehmen konnte seinerseits Sachverständigengutachten vorlegen, wonach ihr Erzeugnis nicht neuartig ist.


OLG München: Nachweisanforderungen an bilanzierte Diät

Ein als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke vertriebenes Produkt, welcher der Schmerzlinderung dienen soll, darf nur als solches vertrieben werden, wenn die Schmerzlinderung durch eine placebo-kontrollierte Doppelblindstudie erbracht wird. 


LG München I: "Fatburner" gegen Adipositas

 

Sofern ein als bilanzierte Diät vertriebenes Produkt gegen krankhaftes Übergewicht (Adipositas) wirken soll, ist es als solches nicht verkehrsfähig, da es nicht den durch die Krankheit entstehenden Nährstoffbedarf oder Mangel ausgleichen soll. 


OVG Lüneburg: CBD-haltige Lebensmittel sind Novel Food

 

In dem Rechtsstreit ging es um ein als Nahrungsergänzungsmittel vermarktetes Produkt mit CDB-Öl. Das OVG Lüneburg stuft dieses als Novel Food ein und beruft sich hierbei auf den Novel-Food Katalog der EU-Kommission. Danach hätten nur einige bestimmte aus Cannabis sativa L. gewonnene Produkte oder Pflanzenteile eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel in der EU und seien nicht als neuartig einzustufen, so etwa Hanfsamen, Hanfsamenöl, Hanfsamenmehl und entfettete Hanfsamen. Extrakte aus Cannabis sativa L. und daraus gewonnene Produkte, die Cannabinoide enthalten, seien hingegen als neuartige Lebensmittel einzustufen, da für diese in der Vergangenheit kein nennenswerter Verzehr als Lebensmittel nachgewiesen worden sei. Diese Einstufung als neuartig treffe sowohl für die Extrakte selbst zu als auch für alle Produkte, denen die Extrakte als Zutat zugesetzt werden, beispielsweise einem Hanfsamenöl zugefügter Extrakt.


LG Berlin: Menthylisovalerat ist eine neuartige Lebensmittelzutat

Menthylisovalerat wird vom Verwaltungsgericht Berlin als Novel Food Zutat eingestuft. Die Zutat war Bestandteil von Lutschtabletten, die aus der Ukraine als bilanzierte Diät zur Behandlung gegen Stress importiert wurden. Zwar sei der Stoff als Aromastoff zugelassen, jedoch sei die eingesetze Menge von 40 mg mit dem Aromastoff nicht vergleichbar. Letzendlich konnte das belangte Unternehmen auch keine Nachweise für einen nennenswerten Verzehr in der EU vor Mai 1997 vorlegen. Zudem kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass auch die Voraussetzungen einer bilanzierten Diät nicht erfüllt waren.


OLG Frankfurt a.M.: Bilanzierte Diät gegen Übergewicht nicht verkehrsfähig

 

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat den Vertrieb eines Produktes untersagt, welches als bilanzierte Diät "zur diätetischen Behandlung von Präadipositas und Übergewicht mit erhöhtem Körperfett" mit der Bezeichnung "Lipoburn" in den Verkehr gebracht wurde. Nach Ansicht der Frankfurter Richter erfüllt das Produkt nicht die Definition eines diätetischen Lebensmittels für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät). Das Produkt diene nicht der Deckung eines medizinisch bedingten Nährstoffbedarfs. Ein solcher sei medizinisch bedingt, wenn Beschwerden, Krankheiten oder Störungen vorliegen, bei denen ein besonderer Bedarf an bestimmten Nährstoffformulierungen bestehe. Mittel zur Prävention würden hierunter nicht fallen. Die Richter stellen sodann fest, dass Übergewicht bei dem für das Produkt angegebenen Body-Mass-Index von größer oder gleich 26 für sich genommen noch keinen Krankheitswert habe und auch noch keine Störung oder Beschwerde sei. Damit sei das Produkt nicht als bilanzierte Diät verkehrsfähig.


BGH: "Kudzuwurzelextrakt" ein Novel Food?

Nach Auffassung des BGH kommt bei der Prüfung, ob es sich bei einem aus dem Trockenextrakt einer Pflanzenwurzel bestehenden Nahrungsergänzungsmittel um ein neuartiges Lebensmittel handelt, darauf an, ob entsprechende Nahrungsergänzungsmittel vor dem 15. Mai 1997 in der Gemeinschaft in erheblicher Menge für den menschlichen Verzehr verwendet wurden. Ob ein nennenswerter Verzehr der Pflanze oder von Produkten, die die Pflanze enthalten, erfolgt ist, ist für die Einstufung eines Produktes als Novel Food unerheblich. Zudem ist der Novel-Food-Katalog der EU Kommission lediglich ein die Gerichte nicht bindendes Indiz für oder gegen ein Novel Food. Der Inverkehrbringer genügt seiner sekundären Beweislast allein mit einem Verweis auf den Katalog nicht.


LG Ulm: Fatburner ist kein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke

Ein als Fatbuurner angebotenes Präparat, welches als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) vermarktet wurde, wurde vom Gericht als nicht verkehrsfähig eingestuft. Nach Ansicht der Ulmer Richter setzt eine bilanzierte Diät voraus, dass für eine Zielgruppe konzipiert ist, die sich in besonderen physiologischen Umständen befindet und daher einen besonderen Nutzen aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter in der Nahrung enthaltener Stoffe ziehen kann. Reine Mittel zur Prophylaxe würden dabei von vornherein nicht als bilanzierte Diäten in Betracht kommen. Das streitgegenständliche Mittel wurde zur diäetischen Behandlung von Übergewicht (BMI<25) angeboten. Ein solcher BMI weise aber noch nicht auf einen krankhaften Zustand (Adipositas) hin. Ein solcher BMI sei eher ein "sportliches oder kosmetisches Problem", so die Richter.


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Ihr Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Florian Meyer

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